Editorial

Jenseits von Ehrgeiz, Eitelkeit und Unwahrhaftigkeit

Man kann gewiss Manches gegen die Politik Victor Orbans einwenden, im Besonderen auch in Bezug auf die Flüchtlingsfrage. Doch in einem Punkt hat der ungarische Regierungschef recht. Der Architekt Attila Ertsey (Budapest ) machte uns darauf aufmerksam, dass «Viktor Orban sagte, die Krise sei von uns – das heißt vom Westen und der NATO, deren Mitglied wir sind – hervorgerufen worden, und daher liege die Verantwortung bei uns allen.» Eine solche Äußerung Orbans wird in den westlichen Medien verschwiegen. Ertsey fordert: Die Einmischung von Cameron, Hollande, den USA und ihren Verbündeten im Mittleren Osten müsse gestoppt werden, damit die betreffenden Länder selbst über ihre Zukunft entscheiden können. Wir möchten hinzufügen: Unglücklicherweise liegt die durch die Flüchtlingswelle bewirkte Chaotisierung Europas durchaus auf der Linie einer ehrgeizigen anglo-amerikanischen Langzeitstrategie. Der schon von Churchill ausgesprochene Plan der Errichtung einer allmächtigen Super-Weltregierung lässt sich nicht mit einer geeinten, sondern nur mit einer chaotisierten Eurozone durchführen. Nur auf den Trümmern Europas ist der Churchill-Plan durchführbar. Europa wird mit dem Flüchtlingsproblem nicht fertig werden, ehe es diese westliche Chaos-Strategie, die sich gegenwärtig sogar der nur in verlogener Art bekämpften ISIS-Rebellen bedient, durchschaut. Laut Ertsey hat sich ein ISIS-Führer damit gebrüstet, dass unter den Flüchtlingen bereits zirka 4000 ISIS-Kämpfer eingeschleust worden seien.

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Rudolf Steiner gab drei Kardinaluntugenden der heutigen Zeit an: Ehrgeiz, Eitelkeit und Unwahrhaftigkeit.*

In Bezug auf die Letztere sagte er einmal, die «Verlogenheit sei die Grundeigenschaft des öffentlichen Lebens unserer Zeit».**

Aus Motiven der Eitelkeit wird nach Steiner nicht nur viel privates Tun motiviert, sondern auch viel «Wissenschaft» getrieben. Es sei an dieser Stelle beispielsweise auf die fragwürdigen, äußerst aufwendigen und nicht ungefährlichen Forschungen im CERN aufmerksam gemacht.

Und persönlicher Ehrgeiz ist vielleicht der erste Feind aller spirituellen Entwicklung, wie schon Mabel Collins in ihrem Schulungsbuch Licht auf den Weg darstellte. Daher gibt sie als ersten Schritt auf dem okkulten Entwicklungsweg an: «Ertöte den Ehrgeiz». Keine leichte Sache, denn der Ehrgeiz ist tief verwurzelt in den Lebens- und Bildungsgewohnheiten der meisten heutigen Menschen.

Man muss weit zurückgehen in der Menschheitsgeschichte, um Zeiten zu finden, denen Ehrgeiz noch ganz unbekannt war. Es ist dies die erste atlantische Zeit, die vom mächtigen TAO-Klang durchtönt war. Es war die goldene Zeit selbstloser Hingabe an Natur und Geist, die als gewaltige Einheit empfunden wurden.***
Die «unheilige Trinität» gehört zu den tieferen Ursachen des gegenwärtigen Kriegsgeschehens. Dieses steht im reziproken Verhältnis zur Ablehnung des seit über 100 Jahren verbreiteten Geisteswissens: je mehr Geist-Ablehnung in Form von persönlichem Ehrgeiz, von Eitelkeit und Unwahrhaftigkeit – je größer die Kriegsgewalten. Ohne energische Hinwendung zu konkreter Geist-Erkenntnis keine dauerhafte Lösung weder des gegenwärtigen Flüchtlingsproblems**** noch des weiteren Schicksals Europas und der Welt.

Thomas Meyer

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*    Gegenüber W.J. Stein, Mitteilungen aus der anthroposophischen Arbeit in Deutschland, Michaeli 1966.
**    Am 21.8. 1920, GA 199.   
***    Siehe R. Steiner, Aus der Akasha-Chronik, GA 11.
****    Humanitäre Hilfe ist selbstverständlich unter allen Umständen in höchstem Maße geboten.