Editorial

Wilhelm Hoerner, Anastasia Romanow und Impressionen aus Bulgarien

Am 13. Juni dieses Jahres ging Wilhelm Hoerner (geb. am 22. Juli 1913) über die Schwelle der geistigen Welt. Hoerner war Priester der Christengemeinschaft.
In seinem ein volles Jahrhundert umspannenden Leben hat er das zweite dramatische Kriegsgeschehen intensiv miterlebt. Im Zweiten Weltkrieg geriet er in Gefangenschaft, in der es auch zu Folterungen kam. Hoerner ist der Schöpfer des den meisten Lesern bekannten Urachhaus-Kalenders. Dieser Kalender sollte u.a. durch die Kennzeichnung von Ereignissen, welche in dem durch Rudolf Steiner erhellten 33-Jahres-Rhythmus (oder einem Mehrfachen davon) verlaufen, die Fähigkeit des «historischen Gewissens» erwecken helfen. Astronomische Daten und verschiedene Kalendarien bereichern den seit bald drei Jahrzehnten existierenden Kalender und machen ihn für Viele zu einem unentbehrlichen Lebensbegleiter.

Warum es neben diesem, durch Hoerner geschaffenen verdienstvollen Kalender noch einen Perseus-Kalender gibt und – wie wir meinen – geben muss, der im September zum zweiten Male erscheint, erklären wir auf S. 26.

In unserer Weltkriegsserie nimmt dieses Mal das Schicksal der Großfürstin Anastasia Romanow einen breiteren Raum ein. Anastasia überlebte die Ermordung der Zarenfamilie im Juli 1919. Obwohl ihre Identität immer wieder bestritten wurde, nicht zuletzt dank eines Gentests, der nicht weniger fragwürdig ist als der im Falle Kaspar Hausers unternommene, gibt es, abgesehen von Anastasias eigenen Äußerungen, eine Reihe von ernst zu nehmenden Zeugen für deren Identität. So zum Beispiel Anna Samweber, welche Anastasia anlässlich von Feierlichkeiten zum 300jährigen Bestehen der Romanow-Dynastie 1914 vor Kriegsausbruch in Odessa gesehen hatte und die sie später wiedererkannte. So auch Monica von Miltitz, welche sie in ihrem Heim auf Schloss Siebeneichen aufnahm und während vieler Monate aus nächster Nähe erlebte.

Miltitz stellte für die Aufnahme Anastasias die Bedingung, dass sie nicht in den Identitäts-Streit hineingezogen würde. Umso größeres Gewicht kommt ihren Aufzeichnungen heute zu, 400 Jahre nach Begründung der Romanow-Dynastie im Jahre 1613. Im Zusammenhang mit dem Weltkriegsthema bedeutend sind u.a. die Äußerungen zu Rasputin, welcher den letzten Zaren Nikolaus II. davor bewahren wollte, Russland in den Krieg zu führen und der deshalb im Dezember 1916 selbst ermordet wurde.

Im Wagnerjahr wirft Marcus Schneider einen Blick auf eine kaum bekannte Beziehung und Korrespondenz Richard Wagners mit dem Bildhauer Gustav Adolph Kietz, der eine Wagner-Büste schuf. Die Erinnerungen von Kietz, aus denen Schneider zitiert, wären wert, wieder aufgelegt zu werden. Sie enthalten eine Reihe von anekdotischen Miniaturen von bleibendem Gehalt.

Wir erlaubten uns, in dem Kasten auf Seite 9 ein paar ebenfalls wenig beachtete Äußerungen über Wagner einzufügen. Sie stammen von Kaiserin Elisabeth, genannt «Sissi», und wurden von ihrem Griechischlehrer Christomanos festgehalten.

Der Bericht von meiner Vortragsreise nach Sofia zur Johannizeit zeigt das Spannungsfeld sich bekämpfender geistiger Tendenzen, in welchem sich Anthroposophie heute zu entfalten hat: Auf der einen Seite starres Festhalten an jedem Wortlaut Rudolf Steiners; auf der anderen Seite ein willkürliches Umdeuten oder Ablehnen seiner Äußerungen. Der Mittelweg liegt darin, manche Worte Steiners «in rechter Weise fortzubilden», wie es im Mysteriendrama Die Prüfung der Seele heißt. Nirgends zeigt sich diese Aufgabe vielleicht deutlicher als im zeitgemäßen Umgang mit den Inhalten der Michaelschule, den sogenannten «Klassenstunden». Möge sie mehr und mehr im michaelischen Sinne gelöst werden.

Thomas Meyer