Editorial

Phrasenhafte Berichterstattung und gruppen-egoistische Machtziele

Zur Lage in der Ukraine
Im Februar machte die Schweiz Schlagzeilen, weil knapp über 50% ihrer Stimmbürger eine Initiative zur Regelung der Einwanderung annahmen, welche den EU-Richtlinien und -planungen zuwiderläuft. Die Schweiz hat mit Abstand den größten ausländischen Bevölkerungsanteil Europas (über 20%), jährlicher Zustrom: 80‘000 Menschen (netto). Ist mehr als die Hälfte der Schweizer rechtslastig und «ausländerfeindlich» geworden? «Das Schweizer Virus», titelte Der Spiegel. Oder sind die Instrumente der Demokratie in Brüssel solange beliebt, als von ihnen «rechter», das heißt EU-konformer Gebrauch gemacht wird?

Im November 2013 hatte der abgesetzte ukrainische Präsident Janukowitsch ein Assoziierungs-Abkommen mit der EU auf’s Eis gelegt – Auftakt zu den von einem Profiboxer mitgeleiteten Unruhen. Besonders besorgniserregend: die Mitwirkung neo-nazistischer Kräfte beim Kiewer Staatsstreich.

lage_ukraineDie Einseitigkeit westlicher Berichterstattung ist phänomenal. Die argentinische Schriftstellerin Stella Calloni schrieb am 24. Februar in der Tageszeitung Junge Welt über den Kiewer Putsch: «Die jüdische Bevölkerung in der Ukraine muss um ihre Sicherheit und Unversehrtheit fürchten, und ausgerechnet in Deutschland wird der Grund dafür bejubelt. Außerdem sehen viele nicht, dass die aggressive NATO-Politik den Weg für den Dritten Weltkrieg bereitet (…) Die Kette Irak, Libyen, Syrien und jetzt Ukraine führt geradewegs dahin. Die USA und Europa stecken in einer tiefen Krise, das macht sie so gefährlich (…) In Deutschland und Europa sind die Menschen nicht richtig informiert und sich auch nicht darüber im Klaren, dass ihre Regierungen zwar überall Sprengsätze legen, die Zünder dafür aber andere in der Hand halten.»

«Tonangebend ist eine Gruppe von Menschen, welche die Erde beherrschen wollen mit dem Mittel beweglicher kapitalistischer Wirtschaftsimpulse», so konstatierte bereits Rudolf Steiner nach dem Ersten Weltkrieg in einer erstmals im Europäer veröffentlichten Notiz.

Vergessen wir niemals das eigentliche Fernziel der EU, wie es einmal Winston Churchill für die Vereinigten Staaten von Europa vorgesehen hatte: die Errichtung einer Welt-Herrschaft unter anglo-amerikanischer Führung. Churchill machte unmissverständlich klar: «Ohne ein vereintes Europa gibt es keine sichere Aufsicht auf eine Welt-Regierung.» (London 14. Mai 1947)* In dieses Europa sollte seit geraumer Zeit auch die Ukraine mehr und mehr eingebunden werden. Das ging nicht so glatt von statten, wie erwartet. Die Aktivierung legal stationierter russischer Truppenteile auf der Krim wurde zur «Invasion» aufgebläht und Russland mit Sanktionen gedroht, denn es habe in eklatanter Weise Völkerrecht gebrochen, – eine unüberbietbare Heuchelei, wenn die Vorwürfe von Seiten der seit bald einem Jahrhundert global agierenden Invasions-Macht USA erhoben werden.** Worum in der Ukraine von denen gekämpft wird, die «an den Zündern stehen», erfahren Sie in großen Linien aus dem Kurz-Interview mit dem Politologen und Autor Gerhard Wisnewski, das uns in letzter Minute erreichte.

«Anthroposophische» Konfliktfähigkeit» und die Flucht in die «Weihnachtstagung»
Wilfried Hammacher beleuchtet in dem auf S. 39 ff. abgedruckten offenen Brief die Unmöglichkeit und auch Überflüssigkeit einer (pseudo-) anthroposophisch-mormonischen Zusammenarbeit bei der Herausgabe des Werkes Steiners (SKA). Die Mormonen glauben an die physische Wiederkunft Christi und beglücken die Menschheit mit Post-mortem-Taufen, damit jeder, selbst Anthroposophen, spätestens nach dem Tod den Zugang zum Mormonen-Himmel erhalten könne. Ihr Glaubensinhalt steht damit natürlich in einem unübersehbaren Konflikt mit der Geisteswissenschaft Steiners. Dieser Konflikt könnte dadurch gelöst werden, dass man zur alten Gepflogenheit zurückkehrte, das Werk Steiners von wirklichen Anthroposophen betreuen zu lassen. Doch fatalerweise ist seit einiger Zeit von führenden Anthroposophen die Devise in Umlauf gebracht worden, «statt Konfliktbewältigung gehe es heute – auch in der Anthroposophischen Gesellschaft – um Konfliktfähigkeit.»***

Eine Gesellschaft, welche nicht einmal die in ihrem eigenen Schoß erzeugten realen Konflikte wie den um die SKA bewältigen will und sich stattdessen programmatisch auf ein ganzes Jahrzehnt hinaus der gebetsartigen Beschwörung der «Weihnachtstagung» von 1923 verschreibt****, verabschiedet sich natürlich auch von der Bewältigung der gegenwärtigen Weltkonflikte. Das war nicht im Sinne ihres Gründers. Die objektive Bedeutung der Weihnachtstagung wird natürlich auch von uns anerkannt; abgelehnt wird hier lediglich deren Inanspruchnahme für eine gesellschaftsinterne «Esoterik», welche jeder «Konfliktbewältigung» aus dem Wege geht.

Thomas Meyer

*Complete Speeches, Vol. VII 1943-1949, London 1974
**Die a priori ausgesprochene Nicht-Anerkennung des Krim-Referendums – eine Folge des extremistischen Machtwechsels in Kiew – steht im Übrigen in krassem Widerspruch zu den in anderen Fällen von den USA und ihren Handlangern geförderten Referenda im Sinne der Selbstbestimmung von Völkern oder größeren Volksteilen: 2008 im Kosovo, 2011 im Süd-Sudan, 2013 auf den Falkland-Inseln, und schließlich steht für den September 2014 das Referendum in Schottland auf der Agenda, das von der britischen Regierung ausdrücklich sanktioniert wird.
*** Wolfgang Held in Nr. 79 der Paracelsus-Blätter (April-Juni 1914)
**** «Der Impuls der Weihnachtstagung – Ein Weg bis 2023»: Programmblatt der Anthroposophischen Gesellschaft in der Schweiz.